Interessantes und Wissenswertes zur APP

Auszug aus der wissenschaftlichen Arbeit: „Ambulante psychiatrische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund“

Autorin: Linda Arnemann (Bachelorarbeit im Sommersemester 2017 an der Hochschule Hannover – Fakultät V, Abteilung Pflege und Gesundheit)

Bachelorarbeit PDF vollständige Fassung

Die wissenschaftliche Arbeit „Ambulante Psychiatrische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund“, nehmen wir zum Anlass, uns darüber Gedanken zu machen, inwiefern das Versorgungsangebot der Ambulanten Psychiatrischen Pflege sich mit dem Bedarf und Bedürfnissen traumatisierter Menschen mit und ohne Migrationshintergrund deckt, inwieweit die Ambulante Psychiatrische Pflege Kapazitätsproblemen ambulanter Psychotherapie in Bezug auf die Versorgung von traumatisierten Menschen entgegenwirken kann und ob die Posttraumatische Belastungsstörung generell als verordnungsfähige Diagnose für die Ambulante Psychiatrische Pflege sinnvoll wäre.

Wir halten uns bei unseren Ausführungen streng an die o. g. wissenschaftliche Ausarbeitung auf Grundlage einer thematischen Suche im Rahmen einer fachorientierten Literaturrecherche.

 

  1. Versorgungssituation der APP in Deutschland

Das Angebot der Ambulanten Psychiatrischen Pflege existiert in Deutschlang nicht flächendeckend und unterschiedliche Umsetzungsvoraussetzungen in den Bundesländern erschweren die Verbreitung der ambulanten Leistung. Darüber hinaus gibt der Gemeinsame Bundessausschuss vor, welche Erkrankungen für die Ambulante Psychiatrische Pflege verordnungsfähig sind. Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, sogenannte Posttraumatische Belastungsstörungen,  zählen nicht dazu, wodurch die Begleitung traumatisierter Menschen zunächst von einer Versorgungsleistung durch die APP ausgeschlossen wird.

 

  1. Was sind Traumafolgestörungen (PTBS)?

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine spezifische Form der Traumafolgestörung (vgl. Flatten et al. 2011, S. 202). Sie wird laut der ICD-10-GM-Liste in den psychiatrischen Fachbereich der neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen eingeordnet. Die ICD-10-GM ist die deutsche Version der Klassifikation zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung (vgl. DIMDI 2017). Die PTBS unterscheidet sich von der akuten Belastungsreaktion, die nach einer vorübergehenden Krisenreaktion wieder abklingt und der Anpassungsstörung, die sich durch eine emotionale Beeinträchtigung aufgrund eines belastenden Lebensereignisses, äußert. (vgl. BMG 2016, S. 198f.). Die PTBS hingegen zeigt sich als verzögerte Folgereaktion auf ein gravierendes, traumatisches Lebensereignis, das an der eigenen Person, oder an fremden Personen erlebt wurde. Es handelt sich um Ereignisse, die das persönliche Selbst- und Weltbild erschüttern und ein Gefühl der Hilflosigkeit auslösen.

 

  1. Symptome der PTBS

Die Symptome der PTBS treten in der Regel gebündelt, als Syndrom, auf. Betroffene leiden unter wiederkehrenden, belastenden Gedanken und Erinnerungen, die sich regelrecht aufdrängen. Die Erinnerungen manifestieren sich in Alpträumen und Flashbacks, es können aber auch Amnesien auftreten. Hinzu kommen Symptome der Überregung wie Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit oder Schreckhaftigkeit. Betroffene zeigen Vermeidungsverhalten bzgl. der Reize und Situationen, welche sie mit dem Trauma assoziieren. Ferner leiden Betroffene an emotionaler Abgestumpftheit, sie ziehen sich zurück, sind desinteressiert und teilnahmslos. Neben der primären psychischen Störung entwickeln Betroffene häufig eine komorbide Störung. Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen und dissoziative Störungen, oft in Verbindung mit Suizidgedanken, treten begleitend als weitere psychische Störung auf.

 

  1. Begleiterscheinungen der PTBS

 Als Begleiterscheinungen der PTBS finden sich nicht nur seelische Beschwerden, sondern auch körperliche Symptome wie Herzrasen, vermehrtes Schwitzen, chronische Schmerzen oder sogar Organerkrankungen. Die Symptomatik kann direkt auf das traumatische Erlebnis folgen oder mit einer Zeitverzögerung von mehreren Wochen bis Jahren auftreten. Aufgrund dieser Verzögerung, besteht die Gefahr, dass ein lange zurückliegendes Trauma und somit eine PTBS als Erkrankung nicht in Betracht gezogen wird. Auch Erlebnisse aus der Kindheit können bei Erwachsenen eine PTBS hervorrufen (vgl. Flatten et al. 2011, S. 203). Die Prognosen der Erkrankung sind eher positiv, die Mehrzahl der Fälle kann geheilt werden, jedoch besteht bei wenigen Betroffenen die Gefahr einer Chronifizierung. Wenn die Erkrankung über mehrere Jahre besteht, kann sich eine Persönlichkeitsstörung entwickeln (vgl. BMG 2016, S. 198).

 

  1. Die Stabilisierungsphase in der Traumatherapie

 Die Stabilisierungsphase basiert auf Vertrauensaufbau und Beziehungsgestaltung sowie dem Schaffen eines Sicherheitsgefühls. Diese Phase nimmt in der Regel den größten Raum in der Therapie ein (vgl. Reddemann/Dehner-Rau 2013, S. 66). Die Erstmaßnahmen der traumaadaptierten Psychotherapie sollen äußere Sicherheit schaffen und vor weiterer Traumaeinwirkung schützen. Mithilfe von Psychoedukation, also psychotherapeutischen Maßnahmen, die auf eine Aufklärung bzgl. Diagnose und Therapie abzielen (vgl. Bäuml & Pitschel-Walz, 2008, S. 3), sollen Betroffene und ihre Angehörigen bei der Akzeptanz und später bei der Bewältigung ihrer Erkrankung unterstützt werden. Sie erhalten sozialer Netzwerke, der Hilfestellung beim Aufbau Entwicklung interpersoneller Ressourcen sowie bei der Kontrolle von Symptomen. Zusätzlich kann eine Psychopharmakotherapie indiziert sein. (vgl. Flatten et al. 2011, S. 205). Sobald Betroffene ausreichend Ressourcen, Bewältigungsstrategien und Vertrauen zu den therapeutischen Bezugspersonen entwickelt haben, kann die Traumabearbeitungs-phase beginnen (vgl. Flatten et al 2011, S. 208).

 

  1. APP und Psychotherapie – Konkurrierende Leistungen?

Ein wichtiges Element der ambulanten psychiatrischen Versorgung ist die Psychotherapie, die von niedergelassenen, psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten übernommen wird. Der Zugang zu Psychotherapie stellt bei Traumafolgestörungen die Therapie der ersten Wahl dar. Jedoch sind deren Kapazitäten überlastet und das nicht nur allein vor dem Hintergrund der Migration.

Während Psychotherapie das Ziel verfolgt, grundsätzliche Belastungen und Probleme in Gesprächen und speziellen Therapiemaßnahmen zu ergründen, spezialisiert sich der psychiatrische Pflegedienst auf die akute Bewältigung der Alltagserfordernisse. Psychotherapie kann zudem nur erfolgen, wenn Betroffene über ausreichende innere Stabilität verfügen  und sich kognitiv und sprachlich auf die Interventionen einlassen können.

Die Ambulante Psychiatrische Pflege ermöglicht mit ihrer pflegerischen Unterstützung  Betroffenen den Ausbau eines stabilen Selbstkonzepts. Insofern eignet sich der psychiatrische Pflegedienst durchaus als Überbrückungsmaßnahme bis Betroffene einen Psychotherapieplatz erhalten. Die Therapieplätze sind begrenzt und die Wartezeiten in der Regel lang. Die Pflegefachkräfte haben jedoch die Möglichkeit relativ zeitnah nach der Verordnungsstellung eine entsprechende Maßnahme einzuleiten. Werden beide Angebote vom Kostenträger genehmigt, können sie sich gut ergänzen. Jedoch gibt es auch Parallelen zwischen den Leistungen (vgl. Hemkendreis/Haßlinger 2014, S. 102f.).

 

  1. Wirkfaktoren der Psychotherapie

Der Psychotherapieforscher Klaus Grawe beschäftigte sich mit Wirksamkeits-unterschieden verschiedener Psychotherapiemethoden und stellte fest, dass die wesentliche Wirkung von Therapiemaßnahmen lediglich auf allgemeine Wirkfaktoren zurückzuführen ist. Diese sind unabhängig von spezifischen Therapien. Grawe leitete anhand erfolgreicher Therapiemethoden fünf allgemeine Wirkfaktoren ab (vgl. Grawe 2005, S. 7f.).

Zu den allgemeinen Wirkfaktoren zählt das Nutzen vorhandener Ressourcen. Die Motivationen, Fähigkeiten und Interessen des Betroffenen werden für den Verlauf der Therapie genutzt. Ein weiterer Wirkfaktor ist das Erfahren von Problemen, indem Betroffene mit problemauslösenden Faktoren konfrontiert werden. Daran schließt die Problembewältigung an, die Betroffene unterstützen soll mithilfe problemspezifischer Maßnahmen  positive Erfahrungen aus Belastungssituationen zu schöpfen. Mithilfe der motivationalen Klärung sollen Betroffene sich über auslösende und aufrechterhaltende Faktoren ihres problematischen Erlebens bewusst werden. Der wohl signifikanteste Wirkfaktor ist die Therapeutische Beziehung. Sie basiert auf Vertrauensaufbau und Beziehungsgestaltung sowie dem Schaffen eines Sicherheitsgefühls und hat einen starken Einfluss auf das Therapieergebnis (vgl. Grawe 2005, S. 7f.).

Die Wirkfaktoren der Psychotherapie finden sich in den Leistungen und Ansätzen der Ambulanten Psychiatrischen Pflege wieder (vgl. Hemkendreis/Haßlinger 2014, S. 102), wie die folgenden Abschnitte zeigen.

In der Stabilisierungsphase der Traumabewältigung geht es um Bindungssicherheit, um den Aufbau von Vertrauen, um Beziehungen und das Fördern der Selbstwirksamkeit und des Selbstvertrauens, mit dem Ziel eine Beziehung zur betroffenen Person herzustellen. In dieser Phase ist ‚Bindung‘, also das Bestehen sowie das Herstellen zwischenmenschlicher Beziehungen, von hoher  Bedeutung. Gebundene Personen verfügen in der Regel über umfassendere Bewältigungsstrategien, sie sind in der Lage offen Emotionen zu zeigen und in Krisensituationen aus Beziehungen zu schöpfen (vgl. Lennertz zit.n. Zimmermann 2011, S. 175f.) . Bei Menschen, die ein traumatisches Ereignis durchlebt und nie sichere Bindung erfahren haben, gilt es positive Bindungserfahrungen zu erzeugen.

Im Zuge der Beziehungsgestaltung gilt es nicht nur das Vertrauen der betroffenen Menschen zu erlangen, sondern auch darum, ihnen Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu schenken. Das Gefühl der Hilflosigkeit soll durch das Gefühl der Selbstwirksamkeit ersetzt werden. Betroffene müssen erfahren, dass sie selbst Einfluss auf ihr Leben und ihr Umfeld haben. Sie werden dazu befähigt Verantwortung zu übernehmen und Autonomie zurückzugewinnen, indem ihnen Freiheiten eingeräumt werden.  Die Wertschätzung, die damit einhergeht, fördert das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit. Viele der Menschen können aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen nicht mehr für sich selbst einstehen. Bezugspersonen sollten hierbei solange Unterstützung anbieten, bis Betroffene ausreichend Vertrauen und Bindungssicherheit erfahren haben, um sich selbst zu schützen (vgl. Imm-Bazlen 2017, S. 104). Während der Traumabegleitung werden außerdem gemeinsam Bewältigungsstrategien erarbeitet, die den Menschen helfen, sich selbst zu helfen. Denn jemand der in schwierigen Situationen handlungs- und entscheidungsfähig bleibt, ist selbstwirksam. Bewältigungsstrategien lassen sich in erster Linie von vorhandenen Ressourcen ableiten. Ressourcen sind physische, psychische, soziale oder milieubezogene Fähigkeiten, aus denen der Mensch Kraft schöpfen kann, um sein Leben positiv zu gestalten. Auch Glaube kann eine wichtige Ressource sein (vgl. Imm-Bazlen 2017, S. 136).

Ferner beinhaltet die Stabilisierungsphase der Traumabewältigung das Ziel, Sicherheit zu erzeugen. Ein Gefühl von Sicherheit kann über äußere Rahmenbedingungen bzw. gezielte Methoden hergestellt werden. Wie bereits vorab erwähnt, ist eine sichere

Bindung zu einer Bezugsperson bei der Traumabewältigung unabdingbar. Ein Bezugsbetreuersystem schafft mithilfe von Transparenz und Kontinuität ein Gefühl von Sicherheit. Zusammen mit einer Bezugsperson können außerdem feste Tagesstrukturen erarbeitet werden. Betroffene empfinden häufig eine innere Unordnung und können ihren Tagesablauf aufgrund des Erlebten nicht mehr selbstständig strukturieren. Feste Routinen und Rituale, zum Beispiel in Form von Wochenplänen, schaffen Klarheit und helfen Ängste abzubauen. Strukturierte Tagesabläufe beinhalten beispielsweise häusliche Verpflichtungen, Berufstätigkeit und Schule sowie die Freizeitgestaltung. Ein weiterer Sicherheitsfaktor ist eine adäquate Gesundheitsförderung und Prävention (vgl. Schmieg 2017, S.  211f.).

 

  1. Kann die Ambulante Psychiatrische Pflege traumatisierte Menschen mit und ohne Migrationshintergrund adäquat versorgen?

8.1 Lange Wartezeiten auf Therapieplätze – Versorgungsdefizit

Lange Wartezeiten wirken sich nachweislich negativ auf den Verlauf von Traumafolgestörungen aus. Die APP könnte einen wertvollen Beitrag dazu leisten, das bestehende Versorgungsdefizit aufzufangen, wenn Traumafolgestörungen zukünftig in den Leistungskatalog der verordnungsfähigen Diagnosen aufgenommen würden. Die Tätigkeiten und Leistungen der APP decken sich zum einen mit dem Bedarf und den Bedürfnissen traumatisierter Menschen, zum anderen ähneln die Wirkfaktoren der APP den allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie.

 

8.2 Stabilisierungsphase durch APP

Die Stabilisierungsphase, die Teil der Traumtherapie ist, könnte durch die APP erfolgen. Die bedürfnisorientierten Handlungsanweisungen spiegeln das Leistungsspektrum der APP wider. Die Leistungen der Pflegepersonen basieren schließlich auf dem Beziehungs- und Vertrauensaufbau. Sie gewährleisten aufgrund eines hochfrequentierten, aufsuchenden Angebots die Kontinuität und Sicherheit, die Betroffene so dringend brauchen. Aber auch die Förderung von Ressourcen und Bewältigungsstrategien, zur Widerherstellung der Autonomie und Selbstwirksamkeit Betroffener, sind ein wichtiger Bestandteil der APP. Das Aufsuchen in häuslicher Umgebung ermöglicht, neben der Einbeziehung des sozialen Umfeldes, das Einüben alltagspraktischer Fähigkeiten.

 

8.3 Sofortiger Beginn der Maßnahme APP

Die APP vereint alle Leistungen, die traumatisierte Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in der Stabilisierungsphase benötigen. Des Weiteren haben psychiatrische Pflegekräfte in der Regel Erfahrung im Umgang mit den Symptomen und komorbiden Störungen, die eine Traumafolgestörung ausmachen. APP könnte eine wichtige Komponente im Versorgungsnetzwerk darstellen, wenn ihre Leistungen vom Kostenträger finanziert werden. Da APP prinzipiell sofort nach der ärztlichen Verordnungsstellung beginnen kann, wäre es beispielsweise sinnvoll, diese einzusetzen, bis Psychotherapieplätze oder vergleichbare Angebote verfügbar sind.

 

8.4 APP vor Psychotherapie – Stabilisiert in die Psychotherapie

Da die Traumakonfrontationsphase spezielle Therapieansätze  erfordert, für welche die psychiatrischen Pflegefachkräfte in der Regel nicht qualifiziert sind, sollte an dieser Stelle die Psychotherapie ansetzen. Jedoch sind die Pflegepersonen nach ausreichender Beziehungsgestaltung, dazu in der Lage, einzuschätzen, ob Betroffene überhaupt den Bedarf der Konfrontation mit dem traumatischen Erlebnis haben. Wenn sie psychisch stabil sind und ihren Alltag problemlos bewältigen können, haben sie das Trauma ggf. allein auf Basis der Stabilisierungsphase überwunden. Prinzipiell stellt sich die Frage, inwiefern spezifische Therapien Einfluss auf die Wirkung einer therapeutischen Maßnahme haben. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie kann die APP mit ganz ähnlichen Wirkfaktoren, bereits vor Beginn der Psychotherapie, dazu beitragen einen positiven Behandlungsverlauf zu ebnen.

 

8.5 Soziale Netzwerke der APP

Als Partner verschiedener Facharztpraxen und Kliniken, gewährleistet die enge Zusammenarbeit zwischen Pflegefachkräften und Fachärztinnen und Fachärzten, in notfallmäßigen oder nicht mehr beherrschbaren Krisensituationen, wie z. B. Verdacht auf Suizidgefährdung, eine zügige stationäre Aufnahme in eine psychiatrische Klinik. Prinzipiell wird in der APP bei verordnungsfähigen Diagnosen standardmäßig so verfahren, um nach erfolgter Risikoeinschätzung für eine suizidale Handlung zeitnah entsprechende Interventionsmaßnahmen einzuleiten. Weiterhin ist die APP qualifiziert und erfahren im Umgang und der Wirkungsweise eingesetzter Psychopharmaka und kann ggf. die zuständige Ärztin oder den zuständigen Arzt über Besonderheiten informieren.

 

8.6 APP nach Psychotherapie

Da die Traumatherapie nicht nach der Traumaverarbeitung bzw. Traumakonfrontation endet, wäre auch an dieser Stelle der Einsatz von APP sinnvoll. Diese kann Betroffene sowohl bei der Trauerarbeit, als auch bei der zukünftigen Neuorientierung unterstützen und somit langfristig eine Rückfallprophylaxe gewährleisten.

 

8.7 APP – neuer Versorgungsansatz für Betroffene mit Traumafolgestörungen?

In Anbetracht des dargelegten Leistungsprofils der APP, die jederzeit in enger Kooperation zu anderen ärztlichen und therapeutischen Berufsgruppen steht, wären die F43-Diagnosen der ICD-10-Liste Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, mitunter die PTBS, als verordnungsfähige Diagnosen durchaus sinnvoll. Die Verordnungsfähigkeit von Traumafolgestörungen würde einen Abbau von Zugangsbarrieren zur APP bedeuten und einen ganz neuen Versorgungsansatz für Betroffene ermöglichen. Auch in Bezug auf traumatisierte Menschen mit Migrationshintergrund kann die APP ein Ansatz sein, um Versorgungsdefiziten entgegenzukommen.

 

  1. Wirkfaktoren der APP – Erkenntnisse und Reflexionen zu unserer Arbeit APP

Die Erfahrung unserer täglichen Arbeit mit Betroffenen lehrt, dass nicht nur Traumapatienten mit langen Wartezeiten von mehreren Monaten rechnen müssen. Das bedeutet für Betroffene quälend langes Warten auf einen Therapieplatz statt zeitnaher Hilfe. Überbrücken ließe sich die Wartezeit durch die Ambulante Psychiatrische Pflege.

Schaut man in den Leistungs- und Tätigkeitskatalog der APP und bezieht sich auf die Ausführungen der o. g. wissenschaftlichen Arbeit, so finden sich interessanterweise vergleichbare Leistungen und Ansätze zur Psychotherapie. Insbesondere die sogenannte Stabilisierungsphase steht im Focus unserer Tätigkeit. Voraussetzung für die Stabilisierung eines Betroffenen sind sogenannte Wirkfaktoren, wie sie uns auch in der Psychotherapie begegnen.

Die pflegerisch-therapeutische Beziehung der APP basiert, wie auch die therapeutische Beziehung in der Psychotherapie, auf Vertrauensaufbau und Beziehungsgestaltung sowie dem Schaffen eines Sicherheitsgefühls mit dem Ziel einer ganzheitlichen Stabilisierung der Persönlichkeit eines psychisch erkrankten Menschen durch eine ressourcen-, bedarfsorientierte und wertschätzende Unterstützung gemeinsam mit einer Bezugspflegeperson. Unter „ganzheitlich“ verstehen wir, neben der seelischen Unterstützung und Stabilisierung, die Begleitung von stabilisierenden Alltagshilfen, wie die Unterstützung bei Alltagsaktivitäten, Wohnungssuche, Förderung von sozialen Kontakten, Einkäufen und Hilfestellung bei vielen weiteren psycho-sozialen Erfordernissen.

Psychotherapie und Ambulante Psychiatrische Pflege stellen unseres Erachtens keine konkurrierenden Leistungen dar, denn die Leistungen und Ansätze der APP, insbesondere hinsichtlich der Stabilisierungsphase, lassen sich mit denen der Psychotherapie vergleichen. Infolge dessen kann die  APP durchaus als ergänzendes und/oder überbrückendes sowie gleichwertiges Versorgungsangebot in der Stabilisierung von Betroffenen betrachtet werden und so Kapazitätsproblemen ambulanter Psychotherapie entgegenwirken.

Wir möchten nicht unerwähnt lassen, dass einige unserer Klienten, zu welchen wir zunehmend auch Migranten zählen, unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Sie alle gelangten zu uns aufgrund der Entwicklung von ko-morbiden Störungen, welche eine verordnungsfähige Diagnose für APP möglich machte. Insbesondere leiden unsere PTBS-Klienten unter Angststörungen und Depressionen, oft in Verbindung mit Suizidgedanken.

Unsere positiven Erfahrungen mit der Stabilisierung von Betroffenen, veranlassen uns,  deutlich zu machen, dass das Hilfsangebot der Ambulanten Psychiatrischen Pflege durchaus mehr Beachtung finden sollte bei der Versorgung traumatisierter Betroffener, die der schnellen und zeitnahen Unterstützung bedürfen.

 

  1. Entstehung und Entwicklung der Ambulanten Psychiatrischen Pflege

Erste Modellversuche zum Angebot der APP wurden ab 1980 in vorhandenen Sozialstationen durchgeführt. Eigenständige psychiatrische Pflegedienste konnten nur in Einzelfällen, auf Grundlage von Sondervereinbarungen, gegründet werden. Die damaligen Leistungen richteten sich in erster Linie an entlassene Langzeitpatienten aus psychiatrischen Kliniken. Angebote, die in den Folgejahren auf Basis verschiedener Länderregelungen entstanden, unterschieden sich stark von ihren pflegerischen Leistungen und ihrer Angebotsdauer. (vgl. Hemkendreis/Haßlinger (2014, S. 13f.). Auch für die psychiatrische Versorgung gilt die, seit 2003 im SGB XII gesetzlich verankerte, Vorgabe ambulante Angebote den stationären Leistungen vorzuziehen (vgl. SGB XII § 13 Art. 1, Abs. 1 und Abs. 2).

Im Jahr 2004 wurde die APP an einzelnen Standorten Teil der integrierten Versorgung nach § 140 a-d SGB V (vgl. BAPP 2008, S. 2). Die integrierte Versorgung soll mithilfe von indikationsspezifischen Verträgen einzelne Leistungssektoren miteinander vernetzen und somit die Wirtschaftlichkeit und die Qualität der medizinisch interdisziplinären Versorgung verbessern (vgl. AOK 2017). Im Rahmen der integrierten Versorgungsverträge wurde für die APP eine neuartige Versorgungsstruktur geschaffen, deren Richtlinien sich erstmals von der Häuslichen Krankenpflege unterschieden. Unabhängig von der integrierten Versorgung schuf der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Jahr 2005 die Grundlage für die Implementierung der APP in die Regelversorgung. Die psychiatrische Pflege wurde in den Richtlinien über die Verordnung von Häuslicher Krankenpflege des G-BA festgehalten und ermöglicht seitdem eine ärztliche Verordnung psychiatrischer Pflegeleistungen für ambulante psychiatrische Pflegedienste (vgl. BAPP 2008, S. 2).

Die Verankerung der psychiatrischen Pflege in die Häusliche Krankenpflege schien zunächst eine Möglichkeit zu sein, die APP flächendeckender anbieten und verbreiten zu können. Die Richtlinien wurden allerdings bezüglich ihrer Umsetzung sehr unkonkret formuliert. Die einzelnen Bundesländer waren dazu aufgefordert die Zulassungsbedingungen für APP individuell zu definieren, wodurch große regionale Unterschiede entstanden sind. Leistungserbringer der APP müssen Umsetzungsbestimmungen mit örtlichen Kostenträgern gesondert aushandeln. Dies bedeutet, dass sich nicht nur die Einsatzdauer und die Vergütung der Leistungen regional unterscheiden, sondern auch die Versorgungsqualität. Zudem ist die Bereitschaft der Kostenträger, ambulante psychiatrische Pflegeleistungen zu übernehmen, häufig gering (Hemkendreis/Haßlinger 2014, S. 17).

Des Weiteren ist die Verordnungsmöglichkeit zeitlich und diagnostisch begrenzt (vgl. BAPP 2008, S. 2) So darf der Versorgungszeitraum laut Verordnung vier Monate nicht überschreiten. Außerdem sind lediglich Diagnosen, bei denen die Effektivität der APP literarisch nachgewiesen wurde, verordnungsfähig. Grundlage für den Katalog verordnungsfähiger Diagnosen bildet eine nationale und internationale Literaturrecherche, die der G-BA hat durchführen lassen (vgl. Tschinke 2007, S. 255) Der Ausschluss bestimmter Diagnosen, fehlende einheitliche Versorgungsrichtlinien sowie die häufig fehlende Bereitschaft zur Kostenübernahme seitens der Kostenträger bremst die erwünschte, flächendeckende Entwicklung der APP (vgl. BAPP 2008, S.3).

 

  1. Wer und was ist BAPP?

Wir sind seit 2010 Mitglied bei der berufspolitischen Organisation „Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege“, kurz BAPP. Sie setzt sich seit 2002 für die Förderung der Ambulanten Psychiatrischen Pflege und das Recht auf eine patientenorientierte, ganzheitliche Versorgung psychisch erkrankter Menschen ein. Die BAPP hat nicht nur in Deutschland ein Netzwerk für die Ambulante Psychiatrische Pflege geschaffen, sondern auch in der Schweiz und Österreich. Seit 2004 finden jährlich länderübergreifende Arbeitsgruppen im Rahmen eines Dreiländerkongresses zur psychiatrischen Pflege statt (vgl. Hemkendreis/Haßlinger 2014, S. 16f.).

Im Zuge der Qualitätsförderung formulierte die BAPP einen Anforderungs- und Tätigkeitskatalog, sowie ein Leitbild für die Ambulante Psychiatrische Pflege. In Form von Online-Publikationen setzt sie sich außerdem mit dem aktuellen gesundheitspolitischen Geschehen bezüglich Ambulanter Psychiatrischer Pflege auseinander und liefert Hilfestellung bei gesetzlichen Fragen (vgl. BAPP 2017).  

BAPP Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege